business:forum Automotive 2023

Wettbewerbsfähigkeit braucht Ressourcensicherheit – mit dem Ziel einer CO2-neutralen Kreislaufwirtschaft und unterstützt durch künstliche Intelligenz

Wie ist Wachstum mit modernen IT-Lösungen, aber ohne zunehmende Emissionen und steigenden Ressourcenverbrauch möglich? Und was bedeutet das für die deutsche Automobilbranche und ihre Wettbewerbsfähigkeit? Über diese zentralen Fragen zum Zielbild einer zirkulären Wirtschaft diskutierten Experten und Entscheider der Branche beim business:forum Automotive 2023 der Commerzbank.

„Die Welle bei den Materialkosten dürfte bald durch sein, nun kommt die Welle bei den Lohnkosten.“

Dr. Ralph Solveen, Stellvertretender Leiter Economic Research, Commerzbank AG

Die Analyse der ökonomischen Rahmenbedingungen zeigt eine im Mehrjahresvergleich ungewöhnlich niedrige Arbeitslosenquote – das klare Indiz einer hoch ausgelasteten Wirtschaft. Immer dann aber, wenn in einer funktionierenden Volkswirtschaft starke Nachfrage auf ein begrenztes Angebot stößt, führt dies zu Preiserhöhungen. Zinsanpassungen der Europäischen Zentralbank versuchen, dem entgegenzuwirken – doch seit den 1970er-Jahren folgten auf Zinserhöhungen immer Rezessionen. Eine kräftige wirtschaftliche Erholung ist vor diesem Hintergrund wohl erst im Laufe des Jahres 2024 zu erwarten.

„Wir haben nicht genug Öko-Energie. Sie wird nicht im Überfluss zur Verfügung stehen, sondern knapp und teuer bleiben.“

Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin und Autorin

Mit Blick auf den fortschreitenden Klimawandel lautet das Credo „Grünes Wachstum“, allerdings wird dieser Begriff in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft durchaus kontrovers diskutiert. Die einen sehen es als Königsweg aus der Klimakrise, andere bezweifeln, dass die für „Grünes Wachstum“ nötige Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftsleistung überhaupt möglich ist. Beide Positionen kamen auf dem business:forum zu Wort. So wurde dort die These vertreten, dass die verbleibenden Ressourcen unseres Planeten und die verfügbare grüne Energie nicht für weiteres Wachstum ausreichen. Ausgehend von diesem Standpunkt kann es kein „Grünes Wachstum“, sondern nur ein „Grünes Schrumpfen“ geben.

„Regulieren bis zur letzten Nachkommastelle wird nie funktionieren, weil es das ganze System zum Kippen bringt.“

Peter Fuß, Senior Advisory-Partner von EY

Hier wären insbesondere die Industriestaaten zu einschneidenden Veränderungen von Produktions- und Lebensweisen aufgerufen. Man kann mit der Natur nicht verhandeln, bei begrenzt verfügbaren Rohstoffen helfen nur staatliche Eingriffe. Dazu gehören in letzter Konsequenz auch das Verbot von klimaschädlichen Prozessen und ineffizientem Rohstoffeinsatz sowie eine konsequente Regulierung: Knappe Güter müssen rationiert werden, damit die Ressourcen wenigstens noch für die wichtigsten Aufgaben reichen.

„Wir müssen froh sein, dass Länder wie Indien oder Indonesien beim Aufbau ihrer Infrastruktur nicht die Böden aufreißen und Glasfaser verlegen, sondern diesen Schritt überspringen und gleich auf 5G setzen. Hätten diese Länder klassische Technologien implementiert, wäre schon heute keiner der kritischen Rohstoffe mehr verfügbar.“

Oliver Kleinhempel, Geschäftsführer, CRONIMET Raw Materials GmbH

Verfügbare Ressourcen als „Flaschenhals“: Diese Erfahrung haben viele Unternehmen in den letzten Jahren als Folge unterbrochener Lieferketten gemacht. Verschärfend kommen zwei Dinge hinzu: zum einen der immense Nachholbedarf in Entwicklungsländern, die verstärkt als Wettbewerber auf den Rohstoffmärkten auftreten, und zum anderen die Lagerhaltung, die auf das niedrigste Niveau seit mehr als zehn Jahren gesunken ist. Weil möglichst viel „just in time“ geordert wurde, sanken die Vorräte von Aluminium und Nickel gegenüber 2012 um rund 75 Prozent. Bei Kupfer waren es 55 Prozent und bei Zink 40 Prozent.

Die Zeiten der klassischen Rohstoffversorgung sind vorbei, die geprägt war vom Ad-hoc-Kauf der Rohstoffe, wenn sie gerade gebraucht wurden. An dessen Stelle tritt die Rohstoffsicherung, die ebenso langfristig wie nachhaltig ausgerichtet ist und sich auf sichere Zugriffsmöglichkeiten konzentriert – wenn nötig auch durch eine direkte Beteiligung an der Rohstoffgewinnung. Rohstoffsicherung verbindet aktive Strategien bei den Primärrohstoffen mit einer integrierten Kreislaufwirtschaft zur Gewinnung von Sekundärrohstoffen.

„In unserer Industrie ist eine Menge in Bewegung. Unsere gemeinsamen Anstrengungen gehen in die Richtung, dass wir viel nachhaltiger werden, als wir es uns vor fünf Jahren überhaupt vorstellen konnten.“

J. Wolfgang Kirchhoff, Managing Partner KIRCHHOFF Group, CEO KIRCHHOFF Automotive

Verfügbarkeit von Rohstoffen ist das eine, die Reduktion der damit verbundenen CO2-Emissionen das andere. Die Teilnehmer des business:forums diskutierten an einem konkreten Beispiel intensiv über Möglichkeiten gezielter Reduktionen. Ausgangspunkt war die Herstellung von Strukturteilen für Karosserie und Fahrwerk, die im Wesentlichen aus Stahl und Aluminium bestehen.

Bei der Herstellung dieser Strukturteile stammen 90 Prozent des gesamten CO2-Fußabdrucks aus den zugekauften Materialien. Damit ist der wichtigste Hebel für Klimaneutralität klar: unter anderem der Einsatz von CO2-reduziertem Stahl. Dazu bieten sich drei Möglichkeiten: erstens der Einsatz von zertifiziertem Stahl, dessen unverändert hohe Emissionen durch Zertifikate ausgeglichen werden. Die zweite Möglichkeit ist der Einsatz von „grünem Stahl“: Statt im Hochofen mit Kokskohle wird er in Elektroöfen produziert. Noch Zukunftsmusik und etwa ab 2030 im großen Stil einsetzbar ist die Stahlproduktion durch Wasserstoffdirektreduktion. Die Vision: eine komplette Abschaffung der mit fossilen Energieträgern betriebenen Hochöfen. Bis dahin sind noch viele Fragen zu beantworten – eines aber ist jetzt schon klar: Die Erzeugung von emissionsarmem Stahl wird erheblich kostspieliger sein als konventionelle Herstellungsverfahren.

„Für die Kreislaufwirtschaft müssen Fahrzeuge so designt werden, dass sie auf einfache Art und Weise zerlegt und recycelt werden können – unter anderem durch weniger Materialien und einen einfachen Zugang zu den Teilen.“

Dr. Thomas Becker, Leiter Nachhaltigkeit und Mobilität, BMW Group

Neben der Dekarbonisierung der Rohstofferzeugung liegt einer der wichtigsten Hebel zur Erreichung der Klimaziele in der Reduzierung von Energie- und Rohstoffbedarf durch Kreislaufwirtschaft (Circular Economy). Denn ein großer Teil des CO2-Fußabdrucks von Bauteilen entsteht in der frühen Phase der Prozesse – und diese entfällt bei der Nutzung von Sekundärmaterial.

Als regeneratives System will die Kreislaufwirtschaft Ressourceneinsatz und Abfallproduktion sowie Emissionen und Energieverschwendung minimieren – ein wichtiger Beitrag, um das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.

Um den Stoffkreislauf zu schließen, müssen auch die Phasen nach End-of-Life betrachtet werden: Rückführung, Demontage sowie Zerkleinerung bzw. Sortierung von Materialien, um die Rohstoffe dann wieder in den Kreislauf zu geben. Hier aber liegt noch einiges im Argen, unter anderem durch die intensive Nutzung von Verbundwerkstoffen, die ein sauberes Trennen und Wiederverwerten erschweren. Auch mit recyceltem Kunststoff lassen sich derzeit die hohen Qualitätsanforderungen in der Automobilindustrie nicht erfüllen.

Die Kreislaufwirtschaft ist also kein Selbstläufer, sondern verlangt gezielte Anstrengungen – die sich aber lohnen: So verbessern sich klimakritische Werte etwa bei Aluminium als Sekundärrohstoff gegenüber Primärmaterial um den Faktor 4 bis 6.

„Die Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft bedeutet eine große Herausforderung für den Standort Deutschland. Durch die Kombination unserer heutigen produktionstechnischen Expertise mit KI im Software-defined Manufacturing wird daraus jedoch eine große Chance für den Standort mit einer lokalen, resilienten und nachhaltigen Wertschöpfung.“

Dr.-Ing. Max Hoßfeld, Geschäftsführer, InnovationsCampus Mobilität der Zukunft

Die Transformation hin zur Kreislaufwirtschaft ist für die deutsche Industrie ein Kraftakt, der mit einem noch höheren Bedarf an Fachkräften mit produktionstechnischer Expertise verbunden ist. Produkte müssen für die Kreislaufwirtschaft gestaltet, Fertigungssequenzen für sich stetig ändernde Randbedingungen und Ausgangsmaterialien flexibilisiert und die Reparierbarkeit muss gewährleistet werden.

Diese Expertise und diese Fachkräfte sind derzeit und auch in absehbarer Zeit in Deutschland nicht vorhanden. Im Gegenteil: Die Situation verschärft sich etwa ab 2025 durch die Verrentung geburtenstarker Jahrgänge.

Die Lösung: der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und Software-defined Manufacturing.

KI kann die entstehende Komplexität (über-)kompensieren und die aus der Kreislaufwirtschaft entstehenden Chancen für den Standort Deutschland erschließen. Hierfür wird die heutige Expertise der Fachkräfte in Fähigkeitenmodule integriert, so bewahrt und multipliziert. Basis dieses Software-defined Manufacturing sind die Formalisierung und Generalisierung von Fachwissen in abstrakten Softwaremodulen. Durch diese Fähigkeitenmodule wird Fachwissen maschinenverarbeitbar, wiederverwendbar und transferierbar. Um auf diese Weise die Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft zu meistern, müssen Wirtschaft und Wissenschaft nach Überzeugung aller Teilnehmer noch viel stärker aufeinander zugehen und schnell mit einer gemeinsamen Umsetzung beginnen.

Frank Mäder (Sektorkapitän Automotive, Commerzbank AG) fasst am Ende des Branchentreffens die Referate und Diskussionsbeiträge so zusammen: „Die Automobilindustrie am Standort Deutschland ist durchaus wettbewerbsfähig. Um dies auch für die Zukunft zu gewährleisten, muss allerdings noch einiges mehr passieren, um die ökologische Kreislaufwirtschaft in vollem Umfang zu etablieren.“